30. Juni 2017

15 Jahre Völkerstrafgesetzbuch: Deutschland muss Kampf gegen Straflosigkeit weiterführen


BERLIN, 29.06.2017 – Folter in Syrien, sexualisierte Gewalt im Südsudan, Massenexekutionen im Irak: Wo auch immer auf der Welt ein bewaffneter Konflikt zu schweren Menschenrechtsverletzungen führt, in Deutschland können die Verantwortlichen vor Gericht gestellt werden. Möglich wird dies durch das Völkerstrafgesetzbuch. Am morgigen Freitag wird dieses wichtige Instrument der Strafverfolgung genau 15 Jahre alt.
 
Seit dem 30. Juni 2002 ermöglicht Paragraph 1 des Völkerstrafgesetzbuchs (VStGB), dass deutsche Strafverfolgungsbehörden Menschenrechtsverbrechen unabhängig vom Tatort und der Herkunft der Täter und Opfer aufarbeiten. Ein Bezug zu Deutschland oder deutschen Bürgern ist nicht notwendig. So wird sichergestellt, dass die Verantwortlichen für schwerste Menschenrechtsverbrechen in Deutschland keinen „sicheren Hafen“ finden. Dieses Weltrechtsprinzip – wie auch die Errichtung des Internationalen Strafgerichtshofs in Den Haag – basiert auf dem Gedanken, dass schwere Menschenrechtsverstöße die gesamte internationale Gemeinschaft berühren und daher nicht ungesühnt bleiben dürfen.

Den ersten Praxistest bestand das Völkerstrafgesetzbuch 2011. Damals wurde vor dem Oberlandesgericht Stuttgart das Hauptverfahren gegen den Präsidenten der "Demokratischen Kräfte zur Befreiung Ruandas" (FDLR), Ignace Murwanashyaka, und seinen Vize Straton Musoni eröffnet. Bis zu einem Urteil sollten gut vier Jahre vergehen.

Nach 320 Verhandlungstagen, an denen unter anderem mehr als 50 Zeugen angehört wurden, endete der Mammutprozess im September 2015 mit mehrjährigen Haftstrafen für die beiden Angeklagten. Das Urteil gegen Murwanashyaka beruhte auf dem Völkerstrafgesetzbuch und bezog sich auf Beihilfe zu Kriegsverbrechen, die 2009 im Ostkongo begangen worden waren. „Das Urteil war ein wichtiges Signal, dass Prozesse nach dem Völkerstrafgesetzbuch funktionieren. Deutschland nimmt hier eine Vorreiterrolle ein, der andere Staaten folgen sollten“, sagt Maria Scharlau, Völkerrechtsexpertin bei Amnesty International in Deutschland. „Das Verfahren hat auch die Herausforderungen für deutsche Gerichte aufgezeigt, wenn Sachverhalte aufzuklären sind, die sich vor Jahren weit entfernt von den deutschen Grenzen abgespielt haben. Dazu gehören unter anderem die Betreuung der Zeugen, die Vermittlung des Prozesses in die Tatort-Region und der Umgang mit Vorwürfen sexualisierter Gewalttaten, diese drei Punkte müssen bei vergleichbaren Verfahren verbessert werden. Aber der FDLR-Prozess hat bewiesen: Das Völkerstrafgesetzbuch ist ein wirkungsvolles Instrument für mehr Gerechtigkeit.“

Derzeit ist das Völkerstrafgesetzbuch auch ein wichtiges Mittel zur Bekämpfung der Straflosigkeit im Syrien-Konflikt: Viele Betroffene von Menschenrechtsverletzungen in Syrien befinden sich in Deutschland und können als Zeugen aussagen. Menschenrechtsaktivisten und Folterüberlebende aus Syrien haben gemeinsam mit dem European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR) im März Anzeige beim Generalbundesanwalt gegen namentlich bekannte hochrangige Funktionäre der syrischen Geheimdienste gestellt. „Die Vernehmungen laufen und könnten in Anklagen nach dem Völkerstrafgesetzbuch wegen Kriegsverbrechen münden sowie in internationalen Haftbefehlen“, erklärt Scharlau.

Für die Betroffenen von Menschenrechtsverletzungen in Syrien und in anderen Konfliktregionen ist die Aussicht auf Strafverfolgung ein Hoffnungsschimmer: „Die Aufarbeitung der an ihnen begangenen Verbrechen beginnt und ist ein erster wichtiger Schritt in Richtung Gerechtigkeit“, sagt Scharlau. „Die verantwortlichen Behörden in Deutschland müssen ihrerseits alle nötigen Maßnahmen treffen, damit dieser Weg fortgesetzt wird.“

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