28. Oktober 2014

70.000 Tonnen verschollenes "Separatorenfleisch": Deutschland verstößt bei Lebensmittelüberwachung gegen Europa-Recht - foodwatch legt Beschwerde bei EU-Kommission ein


Berlin, 27. Oktober 2014. Mindestens 70.000 Tonnen sogenanntes Separatorenfleisch werden in Deutschland jedes Jahr verarbeitet - aber die zuständigen Behörden in Bund und Ländern können keinerlei Auskunft darüber geben, in welchen Lebensmitteln dieses billige, mechanisch vom Knochen abgelöste Restfleisch landet und ob es sauber verarbeitet und richtig gekennzeichnet ist. Die Verbraucherorganisation foodwatch hat daher heute bei der Europäischen Kommission offiziell Beschwerde gegen Deutschland eingelegt. Denn die Bundesrepublik sei nach EU-Recht dazu verpflichtet, wirksame Kontrollmaßnahmen zu ergreifen, damit Verbraucher weder gesundheitliche Risiken tragen müssen noch durch fehlende Kennzeichnung getäuscht werden. Dass solche Maßnahmen in Deutschland offenbar nicht umgesetzt werden, ist nach Ansicht von foodwatch ein klarer Verstoß gegen europäisches Recht im Bereich der Lebensmittelüberwachung.

"70.000 Tonnen Separatorenfleisch verschwinden Jahr für Jahr im Nirwana, ohne dass deutsche Behörden in der Fleischbranche durchgreifen, um geltendes Recht durchzusetzen", erklärte Luise Molling von foodwatch. "Verbraucher haben ein Recht zu erfahren, wenn ihnen Separatorenfleisch vorgesetzt wird."

Nach geltendem Gemeinschaftsrecht sind die Mitgliedstaaten der Europäischen Union verpflichtet, die Einhaltung lebensmittelrechtlicher Vorgaben zu überwachen und durchzusetzen. So müssen die Behörden die gesamte Verarbeitungskette von der Produktion bis zur Kennzeichnung eines Lebensmittels nachvollziehen können. Ergeben sich dabei Unstimmigkeiten, müssen die Behörden diesen nachgehen - und gegebenenfalls geeignete Maßnahmen ergreifen. Doch obwohl in Deutschland nach offiziellen Angaben pro Jahr rund 70.000 Tonnen Separatorenfleisch verarbeitet werden und dieses im Endprodukt als Zutat deklariert werden muss, finden sich im Einzelhandel so gut wie keine Produkte mit einem entsprechenden Hinweis.

"Wir vermuten, dass hier im großen Stil und systematisch Verbrauchertäuschung betrieben wird - ohne dass die Behörden einen Finger rühren", so foodwatch-Expertin Luise Molling. Anfragen von foodwatch im Frühjahr 2014 unter anderem beim Bundesernährungsministerium, dem Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit sowie bei den 16 zuständigen Ministerien der Bundesländer hätten keine Aufklärung erbracht. Die verantwortlichen Stellen hätten offenbar keinerlei Informationen darüber, wo, von wem und in welchen Produkten das billige Restfleisch den Verbrauchern untergejubelt werde. Gegenüber foodwatch wäre lediglich auf die Stichprobenkontrollen der Lebensmittelbehörden verwiesen worden. Doch mit den gängigen Laboruntersuchungen könne Separatorenfleisch kaum nachgewiesen werden, kritisierte foodwatch. Die Behörden müssten daher stattdessen die Lieferketten überprüfen, um den Verbleib des billigen Restfleischs aufzuklären.

"Wenn die Behörden so offensiv wegschauen ist das geradezu eine Einladung zum Verbraucherbetrug", so Luise Molling von foodwatch. "Die 70.000 Tonnen verschollenes Separatorenfleisch reichen aus, um rund zwei Milliarden Bockwürstchen herzustellen. Das zeigt einmal mehr: Das Gerede von einer funktionierenden amtlichen Überwachung des Fleischmarkts ist blanker Hohn."

Werden bei der Produktion alle Vorgaben eingehalten, ist die Verwendung von Separatorenfleisch gesundheitlich unbedenklich. Die Herstellung ist allerdings hygienisch besonders sensibel und das abgelöste und zerkleinerte Fleisch ist - ähnlich wie Hackfleisch - anfälliger für mikrobakterielle Verunreinigungen. Für Lebensmittelhersteller ist der Anreiz groß, Separatorenfleisch stillschweigend und ohne Kennzeichnung einzusetzen, weil es zwei bis fünf Mal günstiger zu beschaffen ist als gewachsenes Muskelfleisch. In den vergangenen Jahren wurden etliche Betrugsfälle bekannt, in denen die Restware undeklariert in den Handel kam. Gegenüber foodwatch äußerten Branchen-Insider den Verdacht, dass regelmäßig Separatorenfleisch ohne Kennzeichnung für Lebensmittel wie Würste oder Buletten verwendet werde. Nach Angaben der Europäischen Union werden in Deutschland jedes Jahr etwa 130.000 Tonnen Restfleisch maschinell mit Hilfe von Druck vom Knochen gelöst. Etwa 60.000 Tonnen dieses Separatorenfleischs werden exportiert, die übrigen rund 70.000 Tonnen bleiben im Land.

foodwatch wirft Deutschland vor, im Fall von Separatorenfleisch europarechtliche Verpflichtungen (insbesondere aus der sogenannten EU-Lebensmittelbasisverordnung 178/2002) zu missachten. Eine offizielle Beschwerde bei der Europäischen Kommission über eine Nichteinhaltung von EU-Recht in einem Mitgliedstaat können Privatpersonen und Nichtregierungsorganisationen einreichen. Die EU-Kommission, die für die Einhaltung von Gemeinschaftsrecht zuständig ist, ist dann verpflichtet, die Vorwürfe zu prüfen und Stellung zu nehmen.

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